Kastration bei Hunden – eine verantwortungsvolle Entscheidung

Kastration des Hundes, grafisch dargestellt mit Arztkoffer, Stetoskop

Die Frage, ob und wann ein Hund kastriert werden sollte, beschäftigt viele Halterinnen und Halter. Oft wird dabei als Hauptargument die Vorbeugung gegen Mammatumoren bei Hündinnen genannt – insbesondere durch eine Kastration vor der ersten Läufigkeit. Doch wie belastbar ist dieses Argument wirklich, und welche Risiken bringt eine Kastration mit sich?

Vorbeugung von Tumoren – Realität oder Überschätzung?

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das Risiko für Mammatumoren bei unkastrierten Hündinnen insgesamt eher gering ist.

  • Eine Studie der Universität Brno mit über 17.000 Hündinnen ergab, dass nur 1,25 % einen Mammatumor entwickelten (gutartige und bösartige Tumoren zusammengerechnet).
  • Auch die sogenannte Bielefelder Kastrationsstudie von Dr. Gabriele Niepel (2002) bestätigt ähnlich niedrige Werte: Je nach Alter und Rasse erkranken zwischen 0,2 % und maximal 1,8 % der Hündinnen.

Damit wird deutlich: Das Risiko von Mammatumoren ist real, aber es wird in der Praxis häufig überschätzt.

Gesundheitliche Folgen der Frühkastration

Eine Kastration – insbesondere die Frühkastration – bedeutet, dass dem Hund wichtige Geschlechtshormone entzogen werden, bevor sein Körper und Verhalten vollständig ausgereift sind. Dies kann erhebliche Folgen haben.

  • Studie von Ben Hart (USA): Untersuchung von 759 Retrievern zeigte, dass frühkastrierte Hunde deutlich häufiger an Hüftgelenksdysplasie, Kreuzbandrissen und Lymphdrüsenkrebs litten.
  • Weitere Studien: Bestimmte Tumoren wie Hämangiosarkome (Milztumoren), Mastzelltumoren und Osteosarkome (Knochenkrebs) treten bei kastrierten Hunden um ein Mehrfaches häufiger auf als bei intakten Tieren.
  • Verhaltensauffälligkeiten: Auch psychische Effekte sind nachgewiesen. Kastrierte Hunde zeigten häufiger Ängstlichkeit, z. B. in Gewittersituationen, oder andere Stresssymptome.

Besonders kritisch: Eine Kastration kann die Entstehung von Hämangiosarkomen begünstigen – einem äußerst aggressiven und schwer behandelbaren Tumor, der oft erst spät erkannt wird.

Unterschiede zwischen Hündinnen und Rüden

  • Hündinnen: Neben den genannten Risiken ist bekannt, dass die spätere Kastration ebenfalls problematisch sein kann. Der Verlust der hormonellen Steuerung wirkt sich negativ auf das Immunsystem und die Stabilität des Organismus aus.
  • Rüden: Auch hier ist die Kastration kein Allheilmittel. Bösartige Prostatatumoren treten bei kastrierten Rüden sogar häufiger auf als bei intakten. Außerdem zeigen Studien, dass Verhaltensänderungen nach einer Kastration keineswegs garantiert sind.

Wann ist eine Kastration sinnvoll?

Eine Kastration kann ihre Berechtigung haben, wenn sie medizinisch notwendig ist. Beispiele sind:

  • Hündinnen mit wiederholten, ausgeprägten Scheinschwangerschaften.
  • Bestimmte hormonbedingte Fell- oder Hauterkrankungen.
  • Erkrankungen der Eierstöcke, Eileiter oder der Gebärmutter.
  • Rüden mit pathologisch gesteigertem Sexualtrieb, der echten Leidensdruck verursacht.

In allen anderen Fällen sollte sehr sorgfältig abgewogen werden, ob der Eingriff im Sinne des Hundes ist.

Rechtliche Grundlage

Nach § 6 des deutschen Tierschutzgesetzes gilt die Kastration von Hunden als Amputation und ist nur bei medizinischer Indikation zulässig. Der bloße Wunsch des Halters – etwa zur Bequemlichkeit oder zur vermeintlich einfacheren Haltung – stellt keinen ausreichenden Grund dar. Eine ohne medizinische Notwendigkeit durchgeführte Kastration ist damit nicht nur problematisch, sondern rechtlich unzulässig.

Alternative Ansätze

Neben der vollständigen Kastration gibt es auch die Möglichkeit einer Semikastration (Halbkastration). Dabei bleibt ein Teil der hormonellen Funktion erhalten, sodass wichtige Schutzwirkungen der Geschlechtshormone bestehen bleiben. Diese Methode kann in bestimmten Fällen eine sinnvolle Alternative darstellen.

Fazit

Die Kastration ist kein Routineeingriff ohne Folgen, sondern eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen für Gesundheit und Wohlbefinden des Hundes. Sie kann in Einzelfällen sinnvoll oder notwendig sein – etwa bei schweren Erkrankungen oder ausgeprägtem Leidensdruck. Doch die verbreitete Praxis, Hunde vorsorglich oder aus Bequemlichkeit zu kastrieren, ist kritisch zu hinterfragen.

Wer verantwortungsvoll mit seinem Tier umgehen möchte, sollte sich umfassend informieren, kritisch nachfragen, gegebenenfalls eine zweite Meinung einholen – und erst dann in Ruhe eine Entscheidung treffen.